Rote Fahnen - Rote Lippen

Ein Roman

Rote Fahnen - Rote Lippen

Rote Fahnen - Rote Lippen

edition ebersbach
ISBN: 978-3869150444

18 Euro

Rote Fahnen | Leseprobe

Rezensionen:

 

* Innnestadt Ostblock

Der neue Roman von Marianne Brentzel führt den Leser zurück in die 70er Jahre. In dieser Zeit gab es nicht nur Pril-Blumen oder Diskomusik, es war auch die zeit der vielen K-Gruppen, die meist maoistisch orientiert waren.

* Westfälische Rundschau

Für diese Arbeit erhielt sie ein Stipendium der Kunststiftung NRW.

* BoDo

Was „Rote Fahnen – Rote Lippen“ so eindringlich vorführt, ist der Graben zwischen der Theorie, die alles auf den (klassenkämpferischen) Begriff bringt, und der Begrifflosigkeit im Privaten (das ja auch politisch sei): Hannahs Theorie beherrscht die Weltlage, ihr Leben widerfährt ihr hingegen. So wachsen die Entfremdungen und der Realitätsverlust bis zum Bruch.

* Sozialistische Zeitung SOZ

So wird in den Handlungssträngen des Buches eines deutlich: Nicht die Ideale waren schuld an dem Scheitern dieser und ähnlicher Gruppierungen, sondern der Versuch, aus studentischer Herkunft zu versuchen eine bolschewistische Partei nach Thälmannschem Vorbild, unter strenger Beachtung der Pekinger Generallinie der kommunistischen Weltbewegung aufzubauen.

 

Michael Lemken
(Innenstadt Ostblog)

Der neue Roman von Marianne Brentzel führt den Leser zurück in die 70er Jahre. In dieser Zeit gab es nicht nur Pril-Blumen oder Diskomusik, es war auch die zeit der vielen K-Gruppen, die meist maoistisch orientiert waren.

Brentzel, die durch Biografien – unter anderem über die Nesthäkchen-Autorin Else Ury – über die Grenzen Dortmunds bekannt wurde, hat im Roman „Rote Fahnen Rote Lippen“ auch viel Autobiografisches verarbeitet. „Bei Biografien muss ich mich hart an den Fakten halten“, erzählt sie beim Pressegespräch zur Buchpremiere, „bei einem Roman hatte ich mehr Freiheit.“

Zur Handlung: Hannah, die aus einem intellektuellem Umfeld kommt, wird durch den Tod von Benno Ohnesorg 1967 immer weiter radikalisiert, so dass sie Mitglied in der maoistischen KPD/AO wird. Sie wird Mitglied der Landesleitung und erlebt mit, wie das Private immer mehr Politisch wird und somit zerstört wird. Sie reist im Auftrag der Partei nach China und erkennt, dass zwischen den heren Zielen der Partei und der Realität in China große Lücken klaffen und verlässt die Partei. „Hannah hat die meisten Züge von mir“, so Brentzel. Eine weitere Hauptfigur ist Lena, eine Freundin von Hannah die in Ostdeutschland aufgewachsen ist und dank eines Stipendiums nach Paris geht. Sie ist das mahnende Gewissen. Die Dritte im Bunde ist Hilde, die über die Vergangenheit ihrer Mutter forscht, die KZ-Wärterin war. Dadurch gerät sie in Konflikt mit der Partei.

Das Buch umfasst den Zeitraum der 68-er Studentenbewegung bis hin zur Auflösung der KPD/AO 1980. Es macht die stetige Politisierung und Radikalisierung vor allem der Studenten deutlich und zeigt, wie sektenhaft die K-Gruppen doch waren.So sagt eine Genossin zu Hannah: „Das Primat der Politik bezieht sich selbstverständlich auch auf dein Geld und deine Familienverhältnisse. Du musst alles über 600 DM abgeben, aber, wie ich vermute, verdienst du zurzeit nichts und der Partner, sofern nicht Parteimitglied, ist nicht zum Spenden verpflichtet.“

Es scheint, als ob Monty Python beim Film „Das Leben des Brain“ an die K-Gruppen gedacht hat. Statt „Judäische Volksfront“ und die „Volksfront von Judäa“ kämpfen die K-Gruppen entweder für ein „unabhängiges, vereintes, sozialistisches Deutschland“ oder für ein „sozialistisches, vereintes, unabhängiges Deutschland“ auf den Wahlplakaten.

Das Buch bekommt einen Dortmund-Bezug, als die KPD/AO ihr Wirkungsfeld von Berlin nach Dortmund verlegt, weil „im Ruhrgebiet die wahrend Kämpfe der Arbeiter sind“.

 

Westfälische Rundschau

"Rote Fahnen Rote Lippen" von Marianne Brentzel jetzt erschienen
Neuer Roman mit einem Stück Autobiographie
Eigener Bericht

Nach vier viel beachteten Biographien hat sich die Dortmunder Autorin Marianne Brentzel an einen Roman gewagt.

"Rote Fahnen Rote Lippen" heißt das 278 Seiten starke Werk. Am Beispiel von zwei sehr unterschiedlichen Frauen, Hannah und Hilde, erzählt Marianne Brentzel den Alltag in einer maoistischen Organisation der 70er Jahre, nach dem Ende der Studentenbewegung.

"Fiktive Züge", sagt die Autorin, doch die Figur der Hannah habe viel autobiographisches von ihr selbst. Marianne Brentzel, Jahrgang 1943, hat, so erzählt sie, "sehr lange" an diesem Projekt gearbeitet: "Schon vor 25 Jahren", sagt die Autorin. Doch sie habe das erste Manuskript letztlich verworfen. Später sei sie noch einmal angefangen und habe "Rote Fahnen Rote Lippen" dann zu Ende geführt: "Die Zeit war nicht eher reif", sagt sie fast entschuldigend. Für diese Arbeit erhielt sie ein Stipendium der Kunststiftung NRW. Am Beispiel der zwei sehr unterschiedlichen Frauen beschreibt Marianne Brentzel, die in ihrer Berliner Studentenzeit selbst in maoistischen Gruppen der KPD engagiert war, das Innenleben, die diktatorischen Machenschaften und ideologischen Verirrungen einer kommunistischen Sekte in Berlin und Dortmund. Hannah ist eifrig, zielstrebig, arbeitet fast Tag und Nacht. Hilde, als Tochter einer Wärterin im KZ Ravensbrück geboren, treibt vor diesem Hintergrund eine andere Motivation zur radikalen Politik. Beide zweifeln letztlich an der Organisation; eine China-Reise beschleunigt schließlich den Prozess der Abkehr.

Das Buch, gerade frisch aus der Druckerei gekommen, ist ab sofort im Buchhandel zu haben. Marianne Brentzel, die seit 1973 in Dortmund lebt und arbeitet, stellt am Donnerstag, 16. Juni, 19.30 Uhr, im Studio B der Stadt- und Landesbibliothek am Königswall "Rote Fahnen Rote Lippen" vor.

 

Marianne Brentzel, Rote Fahnen Rote Lippen, 18 Euro, ISBN-13: 978-3869150444, 288 Seiten

 

Hannah und das rote Jahrzehnt

Bastian Pütter, bodo – das Straßenmagazin 9/2011
„Also was die siebziger Jahre betrifft /
kann ich mich kurz fassen (…) / Widerstandslos,
im großen und ganzen, /
haben sie sich selbst verschluckt (…) /
Dass irgendwer ihrer mit Nachsicht gedächte,
/ wäre zuviel verlangt.“
(H.M. Enzensberger)

Zwischen 1968, der mythenumrangten „zweiten Gründung“ der Bundesrepublik mit all seinen Kollektivsymbolen und dem Durchbruch der Alternativbewegung, aus der die Grünen entstanden, liegen zehn Jahre. 1968 ist ein nostalgischer Bilderreigen, die Grünen als Kondensat der Öko-, Anti-AKW- und Frauenbewegung haben Vizekanzler, Ministerpräsidenten und einen schwarz-gelben Atomausstieg zustande gebracht. Und dazwischen: Für die einen Dalli Dalli, Ölkrise oder Disco – für die anderen „das rote Jahrzehnt“. Ein gar nicht unbeträchtlicher Teil der Akteure von ‘68 verschwand die 70er Jahre hindurch in obskuren revolutionären Kaderorganisationen und lief isoliert und fieberhaft „politisch arbeitend“ der Schimäre einer proletarischen Weltrevolution hinterher. Nicht wenige heute konservative Professoren und (neo-)liberale Journalisten. Der grüne Schützenbruder Winfried Kretschmann aus Stuttgart ebenso wie die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, oder der Autor und Musiker Sven Regener – alle im maoistischen KB  Bei der Konkurrenz von der KPD/AO waren es z.B. der Künstler Jörg Immendorff – und die Dortmunder Schriftstellerin Marianne Brentzel.

Sie hat im letzten Jahr ein Buch mit Lebensgeschichten von Besuchern der Wohnungslosen-Initiative Gast-Haus veröffentlicht, in der sie mitarbeitet. Als Schriftstellerin ist sie eigentlich Fachfrau für Biografien ungewöhnlicher Frauen. Sie schrieb über die jüdische Faschistin Margeritha Sarfatti oder über Bertha Pappenheim, Sigmund Freuds Anna O.
Und eine solche – hier fiktive – Biografie hat sie nun geschrieben über Hannah, Berliner Studentin, politisiert wie Tausende mit den Schüssen auf Benno Ohnesorg und radikalisiert durch die auf Rudi Dutschke. Hannah, die sich wie alle noch wundert, als das runde Gesicht Mao Tse-Tungs zum ersten Mal an der Freien Universität auftaucht. Und die die Euphorie erlebt, als aus der Studenten- eine „neue Arbeiterbewegung“ zu entstehen scheint – nur weitgehend ohne Arbeiter.
An ihr und an Hilde, Tochter einer KZ Wärterin, führt Marianne Brentzel den Weg in die maoistische KP vor, die 1972 auf der Suche nach dem Industrieproletariat nach Dortmund übergesiedelt war. Und das Leben als Funktionärin in einer überhitzten Scheinwelt, in der, angetrieben von den Weisheiten des „großen Steuermanns“ Mao Tse-Tung, ständig die Revolution hinter der nächsten Ecke wartete.
Hannah erlebt die Sicherheit, die Bestätigung, die Gemeinschaft genauso wie die Isolation, die Zweifel und letztlich die Einsicht des Irrtums. Der Text endet mit der Auflösung der KPD im Jahre 1980.
Was „Rote Fahnen – Rote Lippen“ so eindringlich vorführt, ist der Graben zwischen der Theorie, die alles auf den (klassenkämpferischen) Begriff bringt, und der Begrifflosigkeit im Privaten (das ja auch politisch sei): Hannahs Theorie beherrscht die Weltlage, ihr Leben widerfährt ihr hingegen. So wachsen die Entfremdungen und der Realitätsverlust bis zum Bruch. „Wir imprägnierten uns
mit immer höheren ideologischen Lichtschutzfaktoren gegen alle unmenschlichen Realitäten (der kommunistischen Regime)“, schreibt der Historiker und Ex-KBWler Gerd Koenen in seinem Buch „Das rote Jahrzehnt“. Und gegen die stärker werdende Ahnung eines falschen Lebens im Falschen, das aber doch Halt bot. Koenen wundert sich:
„Ziemlich selten sagte jemand: ,Wisst ihr was, das
ist alles Blödsinn, ich gehe jetzt!‘“
Durch Marianne Brentzels Buch wird auch das verständlich.

 

Rote Fahnen – Rote Lippen
Marianne Brentzel, Rote Fahnen – Rote Lippen, Edition ebersbach, 288 S., 18 Euro

von Michael Banos in: Sozialistische Zeitung Oktober 2011

Wenn wir in diesen Tagen auf 25 Jahre SoZ zurückblicken, lohnt sich auch ein Blick auf die Jahre davor, die Jahre, in denen sich viele tausend Menschen in revolutionären Parteien, Parteiaufbauorganisationen, kommunistischen Bünden organisierten. Marianne Brentzel hat darüber ein sehr lesenswertes Buch geschrieben, worin sie auch von ihren Jahren in der Landesleitung NRW der KPD/AO berichtet.
Man soll Klappentexten ja nie trauen. Wenn es auf dem Cover des Buches heißt: «Ein Roman über die diktatorischen Machenschaften und ideologischen Verwirrungen einer kommunistischen Sekte am Beispiel zweier Frauen, die langsam und schmerzlich den Irrtum ihres Lebens zwischen Rebellion und Wahn erkennen», vermutet man eine Totalabrechnung mit allem à la Gerd Koenen. Die ist es aber nicht.

Marianne Brentzel beschreibt den Weg einer jungen Frau aus der Provinz, die nach dem 2.Juni 1967 an der FU Westberlin in der Protestbewegung auf radikale Positionen stößt und sich einbinden lässt in das Konzept des Aufbaus einer maoistischen Kaderpartei. Die emanzipatorischen und internationalistischen Ideen beibehaltend, wird sie ins Ruhrgebiet geschickt, steigt in der Hierarchie auf und bekommt leitende Positionen.

Eindringlich wird geschildert, wie sie in ihrer Rolle als Frau und Mutter ständig Probleme mit der Parteidisziplin bekommt, das Private dem Politischen unterordnen muss, in Widerspruch zur Praxis der Organisation gerät. Die Partei beginnt sich in sektiererischer Weise zu isolieren.

«Erstaunlich viele Frauen aus Dortmund waren nach Bonn zur Demonstration gegen den Abtreibungsparagrafen gefahren. Mit einigen Genossinnen hatte sie am Bus gestanden und Zettel verteilt. Die Frauen lasen mit ironisch verzerrter Stimme daraus einige Passagen vor. KAMPF DER HAUSSKLAVEREI! FRAUEN FÜR DEN KOMMUNISMUS! IM SOZIALISMUS WIRD ES KEINE ABTREIBUNG MEHR GEBEN! Eine Frau mit kesser Mütze trällerte vor sich hin: Im Sozialismus, im Sozialismus, erst im Sozialismus. Es klang wie eine christliche Litanei.

Hannah war sauer, dass ihr Text so respektlos behandelt wurde. Eine sagte: Ihr habt keine Ahnung. Es geht um die Abschaffung des Paragrafen, nicht um irgendeinen Sanktnimmerleinstag und euer Sozialismus-Paradies. Das ist doch dummes Zeug, was ihr hier schreibt. Fahrt lieber zur Demo, anstatt uns zu belehren…

Hanna fühlte sich ertappt, weil sie wegen der Parteikonferenz nicht mitfahren konnte. Im Grunde hatten die Frauen recht. Die stiegen winkend in den Bus und riefen zum Abschied flotte Sprüche. Einer gefiel ihr besonders: HÄTT MARIA ABGETRIEBEN WÄR UNS DER PAPST ERSPART GEBLIEBEN. Den Frauen macht Politik richtig Spaß, dachte sie, als der Bus losfuhr.»

Das ist nur eine der vielen Geschichten aus dem selbst gewählten sektiererischen Alltag. Selbst ein gemeinsames Weihnachtsessen (Was wohl bei MLern? Pekingente!) kann die Kluft zwischen den politischen Ansprüchen und dem privaten Leben nicht aufheben.

«Früher haben wir von der allseits entwickelten Persönlichkeit geträumt. Und heute? Sind wir noch Menschen, die leidenschaftlich lieben? Oder nur Marionetten der selbst gesetzten Pflichten.»

So wird in den Handlungssträngen des Buches eines deutlich: Nicht die Ideale waren schuld an dem Scheitern dieser und ähnlicher Gruppierungen, sondern der Versuch, aus studentischer Herkunft zu versuchen eine bolschewistische Partei nach Thälmannschem Vorbild, unter strenger Beachtung der Pekinger Generallinie der kommunistischen Weltbewegung aufzubauen.

Die vielen konkreten Betrachtungen, etwa aus der verordneten Betriebsarbeit, während der großen Anti-Breshnew-Demo in Dortmund, dem Protest beim Rathaussturm in Bonn gegen den Thieu-Besuch oder die Reise einer offiziellen Parteidelegation nach China sind nicht nur für «die Alten» eine wichtige Erinnerung, sondern für jede/jeden Suchenden wichtige Erfahrungen.

Leider fehlt hier der Platz, auf eine Gefährtin, Genossin, der Hannah im Buch einzugehen: die eingeflochtene Schilderung des Schicksals der Freundin Hilde ist allein schon den Kauf des klugen Buches wert.

Michael Banos ist Schriftsetzer und lebt als glücklich-parteiloser Kommunist in Dortmund.