Margherita Sarfatti

»Ich habe mich geirrt. Was soll´s.«
Jüdin. Mäzenin. Faschistin.

sarfatti

Marianne Brentzel und Uta Ruscher
Margherita Sarfatti.
„Ich habe mich geirrt: Was soll’s.“
Jüdin. Mäzenin. Faschistin
Atrium Verlag, Hamburg 2008,
395 Seiten, 22,90 €

Sarfatti-Startseite | Leseprobe

Jüdische Allgemeine Nr. 26

Jüdische Faschistin
Marianne Brentzel und Uta Ruscher
porträtieren Mussolinis Geliebte
 
von Jürgen Werth

Nahe der Schweizer Grenze,in einem Waldgebiet, das den Namen „Paradiso“ trägt, hat sich vor 90 Jahren ein Liebespaar in die Büsche geschlagen. Sie verfeinert, gebildet, mit Manieren. Er brutal, ungehobelt, mit einem Raubtier-Instinkt für die Macht. Eine Frau,die in ihrem Salon den Künsten diente. Ein Mann, der den richtigen Augenblick für den Biss ins Genick des Gegners kannte. Margherita Sarfatti und Benito Mussolini.

1912 lernten sie sich im Büro der Zeitung Avanti kennen. Mussolini,kaum 30,ist Chefredakteur des sozialistischen Parteiorgans. Sarfatti,1880 im alten jüdischen Ghetto von Venedig geboren, lernt als junges Mädchen die Weltliteratur, den Marxismus und Nietzsches Werke kennen. Feminismus und die soziale Frage sind ihr wichtig. Die verheiratete Kunstkritikerin und Lyrikerin, Mäzenin und Ausstellungsmacherin lässt sich auf eine Liaison mit dem links-utopischen Großmaul Mussolini ein. „Die Sarfatti“,wie sie bald genannt wird, schreibt eine Mussolini-Biografie. Viele Reden ihres Idols, soweit sie kulturpolitisches Terrain berühren,stammen aus ihrer Feder. Sie setzt sich bei ihm dafür ein,dass am grandiosen Rom kein städtebaulicher Raubbau getrieben wird.

Mehr als zwölf Jahre ist sie seine Geliebte, dann lässt der Duce sie fallen. Ihre Reaktion: „Ich habe ihn zu dem gemacht, was er ist.“ Sie publiziert in Frankreich über die jüdischen Wurzeln ihrer Familie, reist um die halbe Welt, trinkt Tee im Weißen Haus mit Präsident Roosevelt und geht schließlich nach Argentinien.

Sigmund Freud hat sie geholfen, als er Wien verlassen wollte.Marianne Brentzel und Uta Ruscher wissen, wie es dazu kam: „Sie hörte 1938, noch vor den Judengesetzen in Italien, dass nach dem sogenannten ,Anschluss‘ Freud in Gefahr war. Sie schätzte sein Denken. Und dann hat sie über Ciano, den Außenminister, den sie auch gut kannte, versucht, Einfluss zu gewinnen, dass Freud aus Österreich herauskam. Der hat das Versprechen, sich dafür einzusetzen,auch wahr gemacht.“ Jüdin und Faschistin? Als deutscher Lebenslauf ist der Fall Sarfatti schwer vorstellbar – als italienischer schon eher. Mussolini hat sich anfangs über den deutschen Rassenwahn lustig gemacht – auch wenn die Schwarzhemden 1926 die Synagoge in Padua überfallen haben. Es war Sarfatti, die vor dem Zusammengehen mit Deutschland immer gewarnt hat. „Und vor allem ist sie nicht die einzige gewesen“, fügen Brentzel/Ruscher hinzu, „sondern die Juden, die in Italien noch eine sehr starke Stellung aus dem Risorgimento, also aus der Entwicklung der Einheit hatten, haben sich sehr schnell auch mit Mussolini versöhnt und waren in der Partei und haben mitgemacht. Und als dann 1938 die Judengesetze kamen, da ging ein Schrecken durch das Land. Es war unfassbar, dass Mussolini, der vorher immer dagegen gewesen war,das verwirklichen wollte.“

1961 ist Margherita Sarfatti verfemt gestorben. Schweigen wie ein Grab, das muss nach 1947, als sie nach Italien zurückgekehrt war,zu ihren Meister-Disziplinen gehört haben. Denn ihren Kindern gegenüber hat sie zwar Dante und Shakespeare zitiert – wie eine Enkeltochter kürzlich der israelischen Zeitung Haaretz zu Protokoll gab –, aber kein Wort verloren über ihre Rolle im Faschismus. Haaretz überschrieb das Interview provokativ: „Die jüdische Mutter des Faschismus“. Ihre Reaktion auf die Vorwürfe nach dem Krieg gab der Biografie den Titel: „Ich habe mich geirrt. Was soll’s.“Das klingt wie ein Chanson der Piaf: „Ich bereue nichts“. Ihr Grabstein wird geschmückt von einer Plastik, Titel: „Sieg“. Doch diese Frau hat nicht gesiegt. Wer wie Sarfatti 15 Jahre zu schweigen vorzog, der zeigt, dass er um seine Niederlage wusste.

Brentzel und Ruscher ist nicht nur eine politische Lovestory gelungen, sondern auch eine italienische Kulturgeschichte. Lesbar, spannend, oft mit geradezu filmischem Blick. Zwar manchmal hart an der Grenze zum Weichzeichner des historischen Romans, hat diese Biografie einige der Verwirrungen des 20. Jahrhunderts beschrieben.

Marianne Brentzel und Uta Ruscher: Margherita Sarfatti. „Ich habe mich geirrt. Was soll’s.“ Jüdin. Mäzenin. Faschistin. Atrium, Hamburg 2008, 395 S., 22,90 €

 

AVIVA-BERLIN.de im April 2008:

Marianne Brentzel und Uta Ruscher - Margherita Sarfatti
Sharon Adler

"Jüdin. Mäzenin. Faschistin". Eine Biographie über die widersprüchliche und charismatische Margherita Sarfatti. Mussolinis Beraterin und Geliebte, Kunstsammlerin und –kritikerin, Salonnière,...

 

... Verfolgte und gleichzeitig willige Helferin der FaschistInnen, sowie Feministin, Sprachgenie und Autorin.

Alma Mahler-Werfel bezeichnete sie als die "ungekrönte Königin Italiens", andere nannten sie voller (Ehr)Furcht "Diktatorin der Kultur".
Marianne Brentzel und Uta Ruscher haben die Lebensgeschichte der Margherita Sarfatti akribisch recherchiert, ZeitzeugInnen und Verwandte getroffen und sorgsam bislang unveröffentlichtes Material zusammengetragen.

1880 als jüngste Tochter einer alteingesessenen, reichen und traditionellen jüdischen Kaufmannsfamilie im Ghetto Vecchio Venedigs geboren, heiratet sie 1898 den jüdischen Advokaten Cesare Sarfatti, einen Sozialisten.
Das Paar lebt in Mailand und ist Teil der Arbeiterbewegung. Im Salon der russischen Emigrantin Anna Kuliscioff trifft sich die sozialistische Elite der Stadt. Bald gewinnt Margherita Sarfatti einen Ruf als Kunstsammlerin und –kritikerin. Sie protegiert die FuturistInnen um Filippo Tommasio Marinetti, die Gewalt und Hass als Ausrichtung einer neuen Kunst propagieren. Im Salon Kuliscioffs trifft Sarfatti auf den Journalisten Benito Mussolini.
"Der Duce hat mir viel zu verdanken! Ich habe ihn zu dem gemacht, was er wurde."
Sarfatti und Mussolini werden ein Liebespaar, sie macht ihn als seine Beraterin gesellschaftsfähig, ebnet ihm den Weg zur Herrschaft und sensibilisiert ihn zugleich für die Kunst. Lange bleibt sie für Mussolini unentbehrlich.

Margherita Sarfatti war Jüdin und ließ es doch zu, dass tausende Juden und Jüdinnen ermordet wurden. Die charismatische, talentierte und gebildete Frau, die zur ersten einflussreichen Kunstkritikerin Italiens avancierte, stellte die Kunst in den Dienst eines faschistischen Regimes. Sie war selbst Mutter und nahm doch das Leid unzähliger anderer Mütter in Kauf. Aus dem sicheren Exil heraus sorgte sie sich um ihre Familie, aber das Schicksal der anderen interessierte sie nicht.

"Ich habe mich geirrt. was soll`s? Ich habe gelebt!".

Bekannt war sie weit über Italiens Grenzen hinaus. Bei ihren USA-Besuchen logierte sie im New Yorker Waldorf Astoria, trug die aufsehenerregende Mode der Designerin Elsa Schiaparelli, traf sich mit Josephine Baker und rettete Sigmund Freud das Leben. Salvador Dalí bemalte ihr ein Kleid, Einstein spielte für sie Geige, Roosevelt lud sie zum Dinner ins Weiße Haus ein. 1938 flüchtete Margherita Sarfatti über die Schweiz und Frankreich nach Uruguay und Argentinien. Neun Jahre später kehrte sie nach Italien zurück. Vereinsamt und ignoriert lebte sie zurückgezogen bis zu ihrem Tod 1961 in ihrem Landhaus bei Como.

Auch nach dem Krieg übernahm sie nie die Verantwortung für ihre Mitschuld an der Entwicklung des Faschismus, glaubte bis zu ihrem Tod an ihn und war überzeugt, dass Mussolini ihn an die Deutschen verkauft hätte. Das ist es, was sie – mehr als alles Andere – auch heute noch zur Täterin macht!

AVIVA-Tipp: Dank der akribischen Recherche der Autorinnen ist mit "Jüdin. Mäzenin. Faschistin" neben dem offiziell überlieferten Teil der Geschichte auch ein persönliches Portrait mit allen Facetten dieser widersprüchlichen, gefeierten und verhassten Frau entstanden. Nichts beschönigend und ohne Partei zu ergreifen konnten Marianne Brentzel und Uta Ruscher so aufdecken, was nie vergessen werden darf: Schuldig sind die, die ihre Macht missbrauchen und diese durch Arroganz und Ignoranz durchsetzen wollen – und stellenweise auch können.

 

9. März 2008, Neue Zürcher Zeitung

Italienische Exzentrikerin

rox. Im alten Ghetto in Venedig wurde Margherita Grassini 1880 geboren; der engen und traditionellen jüdischen Atmosphäre entzieht sie sich 1898 durch eine Heirat mit dem vermögenden Anwalt Cesare Sarfatti. Als Margherita Sarfatti wird sie ein eigenwilliges und allerdings exzentrisches  Leben führen, unter anderem an der Seite von Benito Mussolini, dessen langjährige Geliebte sie war. Marianne Brentzel und Uta Rascher setzen bewusst auf die Widersprüche in der Biografie dieser selbstbewussten Persönlichkeit, die als Sozialistin, Mäzenin und Avantgardistin beginnt und dann wie selbstverständlich zum italienischen Faschismus überwechselt. Ein nonchalantes Wort – «Ich habe mich geirrt. Was soll's.» – gibt der Biografie den Titel, und in einem dazu passenden dynamischen Parlando geht es durch eine Existenz, die reich an Bizarrerien und prominenten Persönlichkeiten ist: D'Annunzio, Colette, Marinetti, Mussolini und einige andere mehr. Die Autorinnen sehen Margherita Sarfatti als «eine charismatische Frau der extremen Widersprüche, die sich nie mit der kleinen Variante von Leben begnügte». Dass sie als jüdische Faschistin nach dem Krieg durch alle Netze fällt, kann man als weitere Skurrilität verbuchen. Doch ab den 1950er Jahren ist das Leben der Margherita Sarfatti – sie stirbt 1961 – eher als Tragödie denn als Exzentrizität zu verstehen.

 

Der STERN, die BZ, Neues Deutschland und die FREUNDIN, die TESSINER ZEITUNG vom 18.04.2008 und die Wiener Zeitung vom 13.05. 2008 machen auf das Buch aufmerksam.

Auf der Internetseite für Frauenforschung von Luise Pusch wird Margheirta Sarfatti vorgestellt:

http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/margherita-sarfatti/

 

Heike Mund in Bücherwelt, Deutsche Welle, 23.3.2008

Die Italienerin Margherita Sarfatti, 1880 als Tochter einer reichen jüdischen
Familie in Venedig geboren, war äußerst eigensinnig. Eine charismatische Frau,
hoch gebildet, die in ihrem Salon alles versammelte, was Rang und Namen
hatte. Dabei war sie politisch extrem engagiert. Erst als linke Sozialistin, dann
als Ratgeberin und Frau an der Seite des Faschisten Benito Mussolini. Die
beiden Autorinnen Uta Ruscher und Marianne Brentzel haben diesen
widersprüchlichen Lebensweg in einer Biografie nachgezeichnet. Stellenweise
liest sich das wie ein Krimi.“